Es war einmal eine ältere Frau, die wurde von ihrer Jugend bis ins hohe Alter immer von allen wegen ihrer Hässlichkeit gemieden. Man redete sogar darüber, auch wenn sie in der Nähe war.
Die hässliche ältere Frau saß zuhause und las ein Buch über uralte Zaubersprüche. Sie hatte in ihrem Leben schon sehr viele Zaubersprüche ausprobiert, doch immer ging etwas schief.
Es war Herbst, es wurde sehr früh dunkel. An einem finsteren Tag suchte sie einen Glasmacher auf, bestellte eine sehr große Glasscheibe. Sie ging zum Bauern, fragte nach Ochs und Karren, weil sie etwas sehr Schweres zu transportieren hätte. Sie bräuchte beides für zwei Tage. „Kommt gerne
vorbei, ich leihe Euch mein Fuhrwerk“, rief der Bauer ihr freundlich zu aus dem Stall, vor dem sie stand.
Nach drei langen Wochen konnte sie endlich die große Glasscheibe beim Glasmacher abholen. Am frühen Morgen ging sie zum Bauern, um das Fuhrwerk zu leihen. „Hier, gute Frau, Futter und Wasser zur Versorgung der Tiere habe ich hinten auf den Karren gestellt. Fahrt vorsichtig und bringt mir meine Ochsen gesund zurück.“ „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und kenne mich sehr gut mit Ochsen aus. Habt Dank, in zwei Tagen bringe ich sie gesund zurück!“, rief sie freundlich vom Kutschbock. Sie fuhr zum Glasmacher, der hob mit seinen kräftigen Angestellten die große Glasscheibe auf den Karren und befestigte sie. „So, gute Frau, fertig, danke.“ „Ich habe zu danken, die Glasscheibe ist wirklich sehr groß. Ich wünsche Euch und Euren Angestellten einen gesegneten Tag!“, rief sie vom Kutschbock. Fröhlich und heiter fuhr sie zu ihrem Haus, holte Buch, Schale und die benötigten Zutaten für den Zauberspruch.
Sie stellte eine Paste her, rieb die Glasscheibe kräftig ein, so dass sie fast unsichtbar wurde. „Große Scheibe, wache auf, flieg ins Zentrum, stell dich auf, die Leute freuen sich schon darauf!“, rief sie etwas grimmig. Die Glasscheibe erhob sich und flog ins Chemnitzer Zentrum, stellte sich mitten auf den Marktplatz. Die alte Frau trank einen bitteren Saft und flog geschwind hinter der Scheibe her. Lachend stand sie am Turm vom Alten Rathaus. „Au, was ist das, was steht hier?“, rief ein älterer Herr, der gegen die Glasscheibe gelaufen war und sich wunderte, dass hier etwas steht, was er nicht sehen kann. Er musste weit gehen, um daran vorbeizukommen. Verärgert lief er ins Rathaus. „Autsch“, rief eine junge Frau und tastete sich an dem entlang, was sie nicht sah. „Au, autsch“, riefen viele Leute, die gegen die Glasscheibe liefen. Selbst der Bürgermeister, der auf dem Weg zum Rathaus war, wunderte sich, was hier auf dem Marktplatz steht, was man nicht sehen kann. Mit der Hand an der Nase, weil sie weh tat, lief er verärgert ins Rathaus. Die hässliche alte Frau stand lachend am Turm, amüsierte sich über das, was gerade passierte. „Autsch! Huch, was steht hier?“, brüllte ein Herr verärgert und tastete sich an der Glasscheibe entlang, danach eilte er mit der Hand an der Nase ins Rathaus. Eine alte Dame, die lachend zuschaute, ging zur Scheibe, besprühte sie, man sah die Scheibe noch nicht. Sie ging zu der hässlichen lachenden Frau, bat sie, sich vor die Glasscheibe zu stellen. Ein Wunder wird geschehen, versprach sie ihr. „Nein, ich glaube an keine Wunder“, rief die hässliche Frau und blieb am Turm stehen. Die nette Dame nahm ihren Arm und führte sie vor die Glasscheibe. Die Glasscheibe verlor den Zauber, man sah sie jetzt. Die hässliche alte Frau spiegelte sich im Glas und konnte es kaum glauben, wie schön sie jetzt war.
© Heiko Wohlgemuth