Es war einmal ein lustiger Geselle, der lernte in Chemnitz das Schneiderhandwerk. Doch sein Meister war ein großer, kräftiger Grobian, dem die Hand schnell ausrutschte, wenn etwas nicht nach seiner Nase lief. Auch die anderen zwei Meister waren keine netten Leute und meckerten viel. Sie alle mussten am frühen Morgen über den Neumarkt laufen, um zur Schneiderei zu kommen, denn zum Wohnen und Arbeiten war sie zu klein.
Der junge Schneider stand nach der Arbeit gern am Rathaus am Neumarkt und beobachtete die Leute. Alle schaute er sich genau an, viele waren unfreundlich und liefen mit grimmigem Gesicht herum. An einem herrlichen sonnigen Sommertag fiel einem Herrn ein Zettel aus der Hosentasche, genau vor dem Gesellen. Der Geselle hob ihn auf, las ein paar Zeilen und beschloss, ihn zu behalten. Er hatte schon rufen wollen, tat es aber nicht. Lächelnd ging er heim, nahm den Zettel aus seiner Hosentasche und las, was da stand.
Ein Zauberspruch stand da auf dem Zettel, man konnte alles gut erkennen, es war eine sehr saubere Handschrift. Am frühen Morgen ging er mit einer sauberen Flasche zum Neumarkt, legt die Flasche auf den Boden, holte den Zettel hervor und las laut, was auf dem Zettel stand. Die kleine Flasche fing an zu wachsen und wurde riesengroß, so dass viele Menschen in sie hineinpassten. Der Geselle lief, während die Flasche wuchs, zum Rathaus, schaute die riesige Flasche lächelnd an. Der Meister von ihm war immer der Erste am frühen Morgen, der den Neumarkt überquerte. Es machte „Plopp!“ und – schwupp – da saß der kräftige Grobian in der riesigen Flasche, konnte nicht mehr hinaus. „Huch, was soll das? Lasst mich raus!“, rief der kräftige Grobian. „Plopp!“, machte es immer, wenn einer zu dicht an der Flasche vorbeiging, dann saß er in ihr fest. Die Flasche konnte man nicht sehen, weil sie undurchsichtig war. Jetzt saßen schon vier in der Flasche. Lachend und witzelnd stand der Geselle am Rathaus. Man sah nur wütende Leute, die versuchten, aus etwas herauszukommen. Einige blieben weit entfernt stehen und lachten. Da kam der Bürgermeister um die Ecke: „Plopp!“ „Hey, was soll das?“, rief der Bürgermeister erschrocken und versuchte jetzt, mit den anderen aus der Flasche herauszukommen.
„Plopp!“ „Huch!“, rief eine Dame und schaute wütend aus der Flasche. Ein Herr kam um die Ecke vom Markt zum Neumarkt, erschrocken schaute er die Leute an, griff in seine Hosentasche und merkte, dass der Zettel mit dem Zauberspruch nicht mehr da war. Vorsichtig näherte er sich der Flasche. „Plopp, plopp, die Flasche ist klein, die Leute gehen heim!“, rief der Herr. Die Leute standen auf dem Neumarkt neben einer kleinen Flasche und starrten sie an. Der junge Geselle eilte lächelnd davon.
© Heiko Wohlgemuth