Es war einmal vor langer, langer Zeit, da stand das Chemnitzer Wahrzeichen nicht so verlassen und leer herum, es wurde als Gefängnis genutzt.

Es war ein sehr heller, sonniger Tag. Am Mittag fuhren die Schergen in trostloser Kleidung zur Hütte vom Schneider. Die düsteren Gesellen holten den Schneider grob angepackt aus seiner kleinen, aber sauberen Hütte, fluchend lief die treue Ehefrau hinter ihnen her. „Ihr Schinder, lasst den braven und guten, ehrlichen Schneider, meinen Gemahl, zufrieden! Der einzige Böse hier im Ort ist der Bürgermeister und muss fort. Vollgefressen mit dickem Wams, schindet er jeden Hans und Franz!“ „Gebt Ruhe, gute Frau, ein Lump ist der Schneider, fertigt mit krummer Naht nutzlose Kleider!“, rief der ältere Scherge und stieß den Schneider voran aus der Hütte heraus. „Gerade Naht, gute Kleider fertigt mein Mann, der gute Schneider!“, rief sie vor Wut. Mit ihrem breiten, üppigen Körper versuchte sie, die Schergen daran zu hindern, den Schneider mitzunehmen.

Lachend bog der dicke Bürgermeister um eine Ecke, in der Nähe von der Hütte vom Schneider wollte er mit eigenen Augen sehen, wie seine Lüge wahr wurde. Der Bürgermeister hatte den Schneider beauftragt, ein paar prunkvolle Kleidungsstücke anzufertigen. Einer armen alten Frau brachte er Stoffe und Nadeln, zwang sie, ihm ein Kleidungsstück zu nähen, das sollte sie ihm
bringen lassen zum Rathaus. Als das gute Bündel mit den guten Kleidungsstücken ins Rathaus gebracht wurde, kam auch das Bündel von der alten Frau an. In Gegenwart von feinen Leuten entnahm der Bürgermeister das schief genähte Kleidungsstück von der Alten. „So ein Gewand sendet mir der Schneider, mit schiefer Naht und hässlichem, billigem Stoff!“, rief der Bürgermeister aufgebracht. Mit der einen Hand hielt er es hoch, mit der anderen Hand ließ er das gute Bündel vom Schneider verschwinden, „Huch, das ist ja eine Amtsbeleidigung! So ein Gewand soll unser Bürgermeister tragen?“, rief eine feine Dame und rümpfte die Nase. „Für diesen Betrug soll der Schneider büßen!“, rief der reiche Gemahl von der feinen Dame. Er entriss dem Bürgermeister das Gewand und eilte hinaus.

Die Schergen machten sich auf, um den Schneider abzuholen, um ihn in
den Roten Turm zu sperren. Drei Tage saß der Schneider schon im Roten Turm, alle Versuche seiner guten Frau, die Leute von seiner Unschuld zu überzeugen, brachten nichts. Traurig saß sie am Tisch. „Gerade jetzt, wo wir mit Freude ein Kind erwarten, nehmen sie mir meinen Mann!“ Sie betete leise und bat den Herrn, ihr zu helfen, löschte das Licht und legte sich zur Ruhe. In dieser
dunklen Nacht bekam der Schneider Besuch, eine geheimnisvolle Frau brachte dem braven Schneider bunten Stoff, Garn und Nadeln, er sollte ein ungewöhnliches, auffälliges Gewand nähen innerhalb von zwei Tagen. Der Schneider schaute sich den teuren Stoff an und fing flink und fleißig
an zu nähen. Seine Frau versuchte es noch einmal, einen guten Bürger mit Ansehen zu überzeugen, da der Schneider ihm ja auch gute Kleider genäht hatte. Aber keiner wagte es, dem Bürgermeister zu widersprechen, wenn auch alle meinten, der gute Schneider sei hereingelegt worden.

Das bunte Gewand war fertig und gut genäht von Meisterhand. In der Nacht, nachdem es fertiggestellt worden war, tauchte die geheimnisvolle Frau wieder auf, besprühte das Gewand und war schnell wieder fort. Am frühen Morgen hüpfte ein buntes, freundliches Gespenst über den Marktplatz. „Schaut
mich an, seht, wie gut der Schneider nähen kann!“, rief das freundliche Gespenst und hüpfte auffällig zwischen den Marktständen hin und her. Danach verschwand es, suchte den Bürgermeister, der gerade auf dem Weg war zum Rathaus in guter Kleidung vom Schneider. Es sah ihn und fing an, den Bürgermeister daran zu hindern, ins Rathaus zu kommen. „Bürgermeister ist rund, trägt Grau
statt Bunt, mit guter Naht, beides genäht mit Schneiders flinker Meisterhand. Doch dieses schief genähte Gewand ist genäht mit älterer Hand. Schaut zu, wohin schwebt das Gewand!“ Das schief genähte Gewand flog flink zum Gemüsestand, wo die alte Frau stand, sauste ihr hinterher. Jeder, der es sah, schaute den Bürgermeister grimmig an. Es war das Gewand, das der Bürgermeister den feinen Leuten gezeigt hatte. „Der Lump brachte den Schneider um guten Lohn, um seinen Geldbeutel zu schonen. Seht die Kleider an, die er trägt! Die Naht hat der gute Schneider genäht.“ Am Abend saß der gute Schneider glücklich daheim, der Bürgermeister floh vor dem Mob aus der Stadt.

© Heiko Wohlgemuth